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Beitrag vom 11.01.2012
Das traurige Leben der Gloria S. - Ab 12. Januar 2012 im Kino
Lisa Scheibner
Das Leben einer freien Schauspielerin in Berlin kann deprimierend sein, wenn weder gute noch bezahlte Projekte aufzutreiben sind. Doch da bietet sich Gloria eine einmalige Chance, für die sie..
... allerdings eine neue Biografie braucht.
Gloria Schneider (Christine Groß) hat es wirklich nicht leicht. Als Schauspielerin in der Berliner Off-Theaterszene spielt sie mit ihrer Theatergruppe in bestenfalls mittelmäßigen Inszenierungen, die Proben werden durch unprofessionelles Verhalten aller Beteiligten sowie Diskussionen über deren Befindlichkeiten erschwert. Auch das Geld ist knapp: gerade mal sieben Euro zwanzig gibt es aus der Abendgage für jede/n, ZuschauerInnen waren wieder nur wenige da.
Die erfolgreiche Filmregisseurin Charlotte Weiss (Nina Kronjäger) hat ganz andere Schwierigkeiten: ihre Filme sind politisch völlig uninteressant geworden und das wahre Leben ist ihr abhanden gekommen. Sie beschließt, einen Film über eine reale Biografie am sozialen Abgrund zu machen. Ihre Produzentin Margarete (Margarita Broich) ist gar nicht begeistert: "Du kannst doch wohl `ne künstlerische Krise anders bewältigen als mit `nem Dokumentarfilm!" Charlotte setzt sich durch, aber schon auf einer Erkundungsfahrt im Brennpunkt-Viertel wird ihr mulmig und sie springt mit ihren Assistentinnen schnell wieder ins Auto. Also doch lieber ein Casting. Dort treffen dann zwei zusammen, die sich perfekt ergänzen: Gloria erfindet aus dem Stegreif eine herzerweichende Story über ihr schreckliches Leben (Knast, Vergewaltigung, schwangere Teenagertochter), Charlotte ist begeistert und macht sie zu ihrem Reality-Star. Ungereimtheiten in Glorias improvisierter Geschichte wischt sie ohne Bedenken beiseite: "so sind diese Leute".
Gloria stylt ihre Wohnung für ihre neue Rolle um, verteilt Bierflaschen und versteckt eins ihrer zwei Zimmer (denn angeblich hat sie nur eins). Sobald das Filmteam weg ist, arbeitet sie zusammen mit Brigitte (Brigitte Cuvelier), der Regisseurin ihrer Theatertruppe, an der Dramaturgie ihres erfundenen Lebens. Aber die beiden haben die Rechnung ohne ihre frustrierten SchauspielkollegInnen gemacht, denen natürlich nicht entgeht, dass es ein neues Projekt gibt, das erfolgversprechender ist als ihre lahme Euripides-Inszenierung. Sie wittern ihre Chance auf eine Rolle im großen Fake und drängen sich nach und nach ungefragt in Glorias "Biografie", was alles immer komplizierter macht. Als wäre das nicht schon genug, klingelt auch noch Glorias nichtsahnende Liebhaberin Renée (Kerstin Honeit) an der Tür...
Parodie oder Egomanie?
Die Idee von "Gloria S." mag ein guter Stoff für eine Komödie sein, wirkt aber erschreckend Ichbezogen. Die Regisseurinnen hätten einschlägige Erfahrungen mit der Off-Theaterszene gemacht und wüssten, wovon sie redeten, heißt es in der Ankündigung zum Film. Nach und nach fragt sich die Zuschauerin jedoch, ob es interessant ist, einen Film zu machen, der sich in einer ironischen Selbstreflektion erschöpft.
Machen Schall und Groß sich über die (im Gegensatz zu vielen anderen Menschen sehr privilegierten) SchauspielerInnen und deren nichtssagende Projekte lustig, oder wollen sie tatsächlich die Brisanz einer Notsituation aufzeigen? Das wird nicht hier leider nicht klar.
Die Dialoge des Films wirken wie ungelenk improvisiert, die DarstellerInnen scheinen ständig ihre Motivationen zu erklären und kommentieren zu oft, was sie gerade tun. Es gibt kein Vertrauen in Bilder, die etwas erzählen könnten. Das Filmensemble hetzt zappelig durch die Geschichte und erinnert in der trashigen Spielweise extrem an René Polleschs Theaterstücke, bei denen sich die Regisseurinnen offenbar kennen gelernt haben. Doch auch Trash will gekonnt sein: was bei Pollesch in Verbindung mit informationslastigen Textblöcken meist eine Mischung aus unterhaltsam und überfordernd wird, wirkt hier leider eher peinlich.
In der Problematik ähnelt der Film ein wenig Tatjana Turanskyjs "Eine flexible Frau" in dem die Regisseurin das prekäre Dasein einer hochqualifizierten, aber arbeitslosen Architektin beschreibt. Das ist interessant, denn Turanskyj gründete gemeinsam mit Groß und Schall die Gruppe "hangover ltd.*" und auch das Ensemble beider Filme hat einige Überschneidungen. Turanskyj aber widmet sich der Komplexität des Problems, in einer Gesellschaft zu versagen, in der angeblich jede/r "es schaffen kann". Ihr gelingt es, eine mehrschichtige Reflektion anzustoßen und die anarchische Nicht-Perfektion des Films kann als Teil der Message gelesen werden.
An Kunst glaubt hier niemand mehr.
Die Message von "Gloria S." hingegen scheint eine zynische zu sein: im Endeffekt decken alle den Schwindel, um sich ihre Karriere nicht zu versauen. Das Business schwelgt hemmungslos in seiner eigenen Sinnlosigkeit und der Wunsch, mit Kunst etwas zu bewirken, ist auf der semi-professionellen Ebene, wie auch unter den Stars nur noch ironisch denkbar. "Da muss man halt mal radikal aufräumen mit den Sehgewohnheiten!" kommentiert Charlotte eine endlos währende Szene ihres Films, in der nichts passiert, außer dass Gloria Kaffee trinkt.
Mit keinem Wort wird erwähnt, dass es Leute gibt, die wirklich die Probleme haben, die Gloria bloß erfindet: soziale Benachteilung, Ausgrenzung, Gewalterfahrungen. Sowohl Regisseurin Charlotte als auch die Theatertruppe machen sich letztlich darüber nur lustig. Das Künstlerinnendasein scheint auch für Schall und Groß die einzig interessante Lebensform zu sein, in deren "Problemen" sich die Erzählung erschöpft. Viele der Mitwirkenden arbeiten allerdings, im Unterschied zu den von ihnen verkörperten Figuren, erfolgreich in Theater und Film.
In Glorias Wohnung hängt ein Poster von John Cassavetes` "A Woman Under The Influence" (1974), in dem die grandiose Gena Rowlands spielt. Auch das Team um Rowlands und Cassavetes hat sich in "Opening Night" (1977) mit existentiellen Problemen einer Schauspielerin beschäftigt und einen verstörenden Film über Ängste und ein erbarmungsloses Business geschaffen, den Groß und Schall mit einer ihrer ersten Einstellungen zitieren. Der Name der Heldin ist ein offensichtlicher Hinweis auf Cassavetes` Film "Gloria" von 1980.
"Gloria S." wurde in Zusammenarbeit mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz realisiert, und wie im Film findet dort auch die echte Filmpremiere statt, am Donnerstag den 12. Januar 2012 um 21 Uhr im Großen Haus. Weitere Informationen, Tickets und Trailer unter: www.volksbuehne-berlin.de
AVIVA-Fazit: "Gloria S.", entstanden aus einem Projekt der Gruppe "hangover ltd.*", behandelt die Probleme einer Berliner Schauspielerin, die für eine Rolle sogar bereit ist, eine Biografie zu erfinden, die noch prekärer ist als die eigene. Die komischen Momente des Films zünden nicht wirklich, sie wirken überspannt und konstruiert. Die Macherinnen des Films bebildern ironisch ihr eigenes Leben doch verharren sie dabei leider in einem relativ eindimensionalen Horizont. Es wird nicht ganz klar, ob sie eine postmodern-distanzierte Sicht auf das Leben einer Freiberuflerin angestrebt haben, mit der bewusst die Authentizität der Figuren unterwandert wird, oder eine anarchische Screwball-Komödie, für die der Stoff durchaus Potential hat.
Zu den Filmemacherinnen: Christine Groß, geboren 1967, hat als Schauspielerin unter anderem mit Einar Schleef und Robert Wilson gearbeitet und ist regelmäßig in Inszenierungen von René Pollesch zu sehen. Sie leitet Chöre an verschiedenen großen Theatern (u.a. am Berliner Ensemble). 2001 hat sie zusammen mit Ute Schall und anderen die Frauen-Filmgruppe "hangover ltd.*" gegründet, für die beide als Drehbuchautorinnen und Regisseurinnen tätig sind. Groß ist außerdem Darstellerin aller Filme und Performances bis 2007, während Schall im gleichen Zeitraum Kamerafrau und Cutterin aller Projekte war. Ute Schall, geboren 1965, studierte angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und arbeitet als Cutterin für René Pollesch, Tim Staffel und andere. Seit 2001 ist sie Live-Kamerafrau bei Polleschs Stücken an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Darüber hinaus betreibt sie eine Firma für Filmschnitt und Sounddesign. Auf der Berlinale 2010 zeigten die beiden ihren Kurzfilm "Ich muss mich künstlerisch gesehen regenerieren" (2009), der eine Vor-Fassung von "Gloria S." ist. www.hangover-ltd.de
Das traurige Leben der Gloria S.
D 2011
Regie: Christine Groß und Ute Schall
Buch: Christine Groß, Ute Schall und Anna Kremser in Zusammenarbeit mit den SchauspielerInnen
DarstellerInnen: Christine Groß, Nina Kronjäger, Margarita Broich, Sean Patten u.a.
Verleih: Edition Salzgeber
Lauflänge: 75 Minuten
Kinostart: 12. Januar 2012
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